Perspektivwechsel

Translate this post
Photo by Valfex, CC BY-SA 3.0.
In einer Pariser Galerie: Der Wunsch sich das Schöne anzueignen. Foto von Valfex, CC BY-SA 3.0.

Rechts spielende Bambini, links lebhafte Fußballfans beim Achtelfinale der EM und dazwischen fast 20 hochkonzentrierte GLAM*-Koordinatoren der Wikimedia Bewegung. Wir befinden uns circa 900 Meter über dem Meeresspiegel in einer kleinen Bergstadt in der Lombardei (Italien). Für eine knappe Woche lebten mehr als 2000 Menschen in Esino Lario. Denn dort auf der Wikimania versammelten sich ca 1200 Mitglieder der weltweiten Wikimedia-Bewegung, um sich über neueste Trends auszutauschen und innovative Projekte vorzustellen. Aus Schweden, Estland, Finnland und England. Aus Spanien, Baskenland, Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Schweiz, und vermutlich habe ich auch noch einige Länder in der Aufzählung vergessen, kamen viele derjenigen, die sich beruflich oder ehrenamtlich damit beschäftigen, für mehr #wikiGLAM in den Wikimedia-Projekten zu sorgen. Denn natürlich sind Gemälde, Archivalien, museale Objekte und Bücher – genauer ihre digitalen Derivate – von großer Bedeutung für alle Wikimedia-Projekte. Via Wikimedia-Commons sollen Bilder aus den GLAM-Sammlungen Wikipedia-Einträge veranschaulichen und attraktiver gestalten. Daten zum kulturellen Erbe aus den Museen und Archiven sollen Wikidata-Einträge vervollständigen. Buchscanns werden für den Ausbau von Wikisource gebraucht. Freiwillige und Funktionäre fackeln nicht lange, wenn eine Museumstür sich ihnen öffnet. Wir wissen, was wir wollen.

Die Blickrichtung tauschen

Aber nach circa fünf Jahren GLAM-Arbeit ist es Zeit sich zu fragen, wie können wir besser werden? Wie kann es uns gelingen, noch besser zusammenzuarbeiten? Wie können wir besser miteinander lernen? Es ist ein guter Moment diese Fragen zu stellen. Denn erst vor Kurzem hat die Trägerin aller Wikimedia-Projekte, die Wikimedia Foundation, Alex Stinson als Wiki-GLAM-Strategen eingestellt. Er wird uns in Zukunft dabei unterstützen und antreiben, Antworten auf die obigen Fragen zu finden.

Doch schon zwischen Bambini und Fußball wurde mir eines in Esino Lario ganz deutlich. Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Und während ich noch die letzten Krümmel der Wikimania-Kekse genieße, möchte ich diesen Wechsel kurz skizzieren. Wir müssen uns in Zukunft noch stärker an den Bedarfen der GLAM-Institutionen orientieren. Nur so werden wir erreichen, was wir wollen. Da wir ja genau wissen, was wir brauchen, suchen wir nach den Möglichkeiten es zu bekommen. Denn wer gibt nicht gern, wenn er dabei gewinnt?

Seit den Pionierzeiten von Wikipedia hat sich die Welt ein Stück weit verändert. Vielen Museumsdirektorinnen und Archivleitern, führenden Bibliothekarinnen und Kuratoren ist inzwischen klarer, die digitale Welt ist keine Parallele zur Realität, sondern ein Teil von ihr geworden. Sie wissen, dass ihre Besucher und vor allem ihr Nicht-Publikum jährlich mehr Zeit mit mobilen Computern verbringt und erwartet, im Netz möglichst personalisierte Angebote zu finden, die es weiter nutzen kann. Die Welt fände in der hohlen Hand Platz.** Ein Bild von der württembergischen Krone per Snapchat verändern, kommentieren und raus in den Orbit der digitalen Freundschaften schicken, eine App herunterladen, die mir beim Spaziergang durch Berlin, die Standorte zu Hans Baluscheks Gemälden anzeigt natürlich mit einer Ansicht des jeweiligen Gemäldes. Eine One-Minute-Skulptur von Erwin Wurm auf Twitter teilen, ein Foto vom Besuch einer Pariser Galerie oder Bilder einer Modeausstellung in einen Blogpost einbinden können. Das sind heute nicht nur für digital natives selbstverständliche Handlungen, wenn auch, wie wir gesehen haben, nicht immer als legal angesehene. Aber soll man solche Nachnutzungen überhaupt ermöglichen? Und wie macht man das? Noch herrschen Fragezeichen und Unsicherheit in den GLAM-Institutionen.

Doch es beginnt ein Umdenken. Jahrhunderte lang war der Vermittlungsauftrag insbesondere von Museen durch das Zur-Schau-Stellen der Objekte erfüllt. Es ging immer nur um die Frage, wer Zugang erhält. Erst war es nur der Fürst und seine Gäste, dann das erlauchte Publikum und schließlich der Bürger und zahlende Tourist. Heute bietet das Internet ein noch größeres Schaufenster als alle GLAM-Ausstellungsflächen zusammengenommen. Den Zugang gestalten – so auch der Titel der GLAM-Konferenz, die Wikimedia Deutschland seit Jahren aktiv als Partner unterstützt – wird zunächst so verstanden: Man zeigt seine Schätze weiterhin hinter Glas –  hinter dem Glas des Bildschirms. Doch jetzt steht im GLAM-Bereich der Paradigmenwechsel an, der Interaktion ermöglicht. Und dabei ist unsere Hilfe gefragt.

Wikipedia ist keine Sackgasse

In Esino Lario im Kreis der Kollegen auf der Wikimania wurde mir klar, unsere Aufgabe wird es künftig noch stärker sein, in den GLAM-Einrichtungen für die Vorteile der Nachnutzung zu werben. Wikipedia ist inzwischen eine anerkannte Größe und wird als ein weiteres hübsches Schaufenster betrachtet, in das man gern Abbildungen der eigenen Sammlungsstücke stellt. Die Zusammenarbeit von Wikimedia und GLAM erfasst erfreulicherweise immer größere Kreise. Immer öfter werde ich daher selbst von Freiwilligen der Wikimedia-Bewegung gefragt, warum wir denn nicht unsere Zusammenarbeit mit den GLAM-Einrichtungen erheblich dadurch erleichtern könnten, indem wir auch Medienmaterial erlaubten, das nur nicht-kommerziell verwendet werden darf.

Wikipedia ist schließlich ein gemeinnütziges Projekt. Bestimmt würden wir dann schnell große Mengen an digitalisiertem Kulturgut in Wikimedia Commons transferieren können. Doch die Integration der Digitalisate in Wikipedia-Artikel ist keine Sackgasse der Nachnutzung. Gerade weil Wikipedia so gut vernetzt ist, werden Inhalte der Wikipedia über Suchmaschinen leicht gefunden. Dort kann man sie sich anschauen und könnte es dabei belassen. Das Außerordentliche an Wikipedia ist jedoch, dass die hier gezeigten Medien unter einer Lizenz im Medienarchiv Wikimedia Commons abgelegt werden, die die Nachnutzung über Wikipedia hinaus ermöglicht. Deshalb bestehen wir auf Freien Lizenzen.

Mit der Verbindung zu Wikidata wird die Nachnutzung künftig sogar noch leichter werden. Wikimedia Commons wird leichter auch von Algorithmen durchsuchbar und Inhalte können über eine Programmierschnittstelle auch als Datensets heruntergeladen werden. Rohstoff für neue Anwendungen. Wikipedia ist daher ein Portal durch das man hindurch tritt. Kein Schaufenster, sondern ein Umschlagplatz für Wissen. Es verschleißt sich nicht durch den Gebrauch wie die analogen Kunstobjekte es täten, sondern es vermehrt sich, indem Menschen ihm ihre eigenen Gedanken hinzufügen können. Für die Zusammenarbeit mit GLAM-Einrichtungen bedeutet das, wir müssen herausfinden, wie wir ihnen helfen können, ihre digitalisierten Schätze begreifbar im Wortsinn zu machen.

Taggen, der erste Schritt zum strukturierten Wissen

Erste Angebote haben wir in den letzten Jahren für dieses “Begreifbar machen” entwickelt. Jetzt wollen wir zumindest auf europäischer Ebene unsere Angebotsvielfalt strukturieren. Wer macht was zu Rechtsfragen? Wikimedia Deutschland bietet zum Beispiel einen spielerischen Workshop zu Freien Lizenzen an. Wie geht man technische Hürden an? Wikimedia Schweden hilft GLAM-Einrichtungen konkret beim Massenupload auf Wikimedia-Commons. Wie bindet man GLAM-Mitarbeiter in die Wikimedia-Projekte aktiv ein? Wikimedia in Katalonien hat ein Kooperationsprogramm für Bibliothekare entwickelt. Und für die Frage Wie schafft man Begegnungsräume für Freiwillige und Mitarbeiter aus GLAM-Institutionen? organisiert man in Frankreich gern Fotosafaris.

Als einen ersten konkreten Schritt haben die in Esino Lario anwesenden GLAM-Koordinatoren sich auf einen Vorschlag von Wikimedia Deutschland hin geeinigt, künftig in dem monatlichen internationalen GLAM-Newsletter die Berichte mit Tags zu kategorisieren: Arbeiten mit Freiwilligen, Arbeiten mit Freien Inhalten, Arbeiten mit Freien Lizenzen und Informationsveranstaltungen. Ich glaube, wenn es gelingt, unser Wissen und unsere Erfahrung aus der Zusammenarbeit mit GLAM-Institutionen besser zu teilen, dann wird es uns auch besser gelingen, die Menschen in den Museen, Kunstsammlungen, Archiven und Bibliotheken für den Perspektivwechsel zu gewinnen. Sichtbar machen war gestern – Nutzen können ist die Zukunft.

Barbara Fischer, Wikimedia Deutschland

Weiterführende Links

Notes

* GLAM ist das englische Akronym für Galleries, Libraries, Archives & Museums. Und steht international für  Interaktionen der Kultur- und Gedächtnisinstitutionen in der digitalen Welt.

**  Anders ausgedrückt, was nicht im Netz ist, droht mangels Wahrnehmung zu verschwinden. erst aus dem Bewusstsein, dann gar aus dem Sein.

Archive notice: This is an archived post from blog.wikimedia.org, which operated under different editorial and content guidelines than Diff.

Can you help us translate this article?

In order for this article to reach as many people as possible we would like your help. Can you translate this article to get the message out?