16. Dezember
Ein Großteil meiner Arbeit beschäftigt sich mit systemischen Barrieren beim Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen. Wissensgerechtigkeit („Knowledge Equity“) bedeutet, den Zugang zu Informationen in einem Umfeld zu gewährleisten, das auch die Menschenrechte achtet. Ich würde sagen, dass das reine Hinzufügen (Schaffen) von mehr Inhalten nicht gleichbedeutend ist mit „Wissensgerechtigkeit“. Ich denke, wir müssen wirklich darauf achten „Lücken füllen” nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen.
Zum Beispiel produzieren Massen-Uploads von Inhalten keine Gerechtigkeit, wenn es Dinge in diesen Inhalten gibt, die in irgendeiner Weise verletzend sind, also z.B. kolonial geprägt sind. Und außerdem müssen wir überlegen, ob wir das Recht auf das Wissen von jemandem oder einem Volk, einer Gemeinschaft, einer Community überhaupt „haben“. Manchmal sind Lücken absichtlich und manchmal schaffen Lücken tatsächlich auch Gerechtigkeit. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Themen als zentral für die Arbeit für Wissensgerechtigkeit zu betrachten. Und das können wir erreichen, indem wir mehr Menschen aus den Communitys einbeziehen, mit denen wir zusammenarbeiten wollen.
In den letzten Jahren habe ich an Projekten und Themen gearbeitet, die sich mit der Art und Weise befassen, wie indigene Völker und Kulturen in den Wikimedia-Projekten behandelt oder beschrieben werden, und mich für Engagement von Bibliotheken und anderen KulturInstitutionen in den Wikimedia-Projekten eingesetzt. Ich glaube, dass die Einbeziehung von mehr GLAM-Institutionen und Bildungseinrichtungen zu mehr „Wissensgerechtigkeit” führen kann.
Ich habe in den Wikimedia-Projekten in Bezug auf indigene Themen gearbeitet. Ich selbst bin Bürgerin der Métis-Nation Ontario und habe eine indigene Vorfahren. Die Arbeit an den Projekten ist für mich eine Möglichkeit, mein Volk sichtbar zu machen und die Aufmerksamkeit auf Bereiche zu lenken, in denen Ungleichheit besteht. Zum Beispiel schreibe ich Wikipedia-Artikel über indigene Völker, wie “water warrior” und Klimaaktivist Autumn Peltier, ein anishinaibischer Gymnasiast aus der Wikwemikong First Nation. Ich habe eine Reihe von Veranstaltungen mitorganisiert, die sich auf Themen rund um indigenes Wissen im Rahmen von GLAM und Wikimedia konzentrieren.
Ich habe auch an mehreren Projekten rund um Wikidata und Wikibase und indigene Themen gearbeitet. Dabei trifft man wieder auf die Frage der systemischen bzw. strukturellen Probleme, denn Wissen wird durch Metadaten strukturiert und hat enorme Macht, da Metadaten eine so große Rolle bei der Online-Suche spielen. Oftmals ist die in Bibliotheken und anderen Orten verwendete Terminologie problematisch. Zum Beispiel die Verwendung von Namen für Völker, die von der Kolonialmacht vergeben wurden. Oftmals sind diese Namen tatsächlich verletztend oder in irgendeiner Weise unangemessen, aber diese Tatsache ist vielleicht nicht bekannt. Wir müssen die Begriffe verwenden, die von den Völkern und Gemeinschaften selbst verwendet werden. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von Namen für Orte, die von Kolonialmächten gegeben wurden, obwohl es bereits Namen gab, Namen für Flüsse, Seen, Berge. Diese Namen müssen wiederbelebt werden, und das können wir auch in unseren Daten tun. Tatsächlich sollten wir das auch wirklich machen, wenn wir wollen, dass unsere Projekte „gerecht“ sind. Ich betrachte Wikidata konkret aus dieser Perspektive und überlege, wie wir über die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (UNDRIP) im Rahmen von Wikidata nachdenken können. UNDRIP bezieht sich immer wieder auf Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit der Achtung der Rechte indigener Völker. Die Anwendung der UNDRIP auf unsere Projekte entspricht auch den Sustainable Development Goals verbunden.
Auf der Wikidata-Konferenz im Oktober 2019 in Berlin fand sich eine Gruppe zu einem Treffen zu indigenem Wissen zusammen. Bei der Diskussion kamen zahlreiche Stellen auf, an denen wir als Wikimedia-Community ansetzen müssen. So kann beispielsweise sichergestellt werden, dass indigene Sprachen, von denen viele gefährdet sind, online dargestellt werden können (wir benötigen dafür entsprechende ISO-Codes und Unicode-Zeichen). Wir brauchen auch Möglichkeiten, wie wir mit indigenen Inhalten und traditionellem Wissen in Wikimedia Commons umgehen können. Gemeinfreiheit (Public Domain) hat keine Relevanz für traditionelles Wissen, Wissen wird nicht plötzlich aus der Community für jedermann nutzbar gemacht. Wir haben auch über die Notwendigkeit gesprochen wie man die Regeln schaffen können mit indigener Inhalte respektvoll umzugehen. Die Teilnehmenden waren sehr daran interessiert, eine Art Arbeitsgruppe einzurichten, die bei der Arbeit an diesen Themen hilft. (Etherpad des „Indigenous Knowledge Meet-Up“ auf der Wikidatacon 2019)
Wir brauchen mehr Aufklärung und Verständnis dafür, wie Strukturen Gewalt reproduzieren können. Einige mögen es als „epistemische Gewalt“ bezeichnen. Worte sind mächtig. Wir müssen erkennen, dass ein Engagement für „Wissensgerechtigkeit“ mehr bedeuten muss, als nur Lücken in der Wikimedia-Welt zu schließen.
Do you want to know more?
- Stacy Allison-Cassins Homepage
- Stacy’s Session “Wikibase for Canadian Indigenous Content” auf der Wikidatacon 2019 (inklusive Foliensatz und Videoaufnahme der Session)
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