Blick nach außen: Die externen Trends 2023

„Was braucht die Welt jetzt von uns?“

Als Vizepräsidentin der Wikimedia Foundation für Partnerschaften, Programme und Förderung bin ich immer wieder mit dieser Frage konfrontiert, die Maryana Iskander erstmals gestellt hat, als sie zu uns gekommen ist. Was wir glauben, was die Welt von uns braucht, hängt natürlich davon ab, in welcher Position wir uns befinden.

Im letzten Jahr hat das Team Partnerschaften der Wikimedia Foundation als Teil des Jahresplanungsprozesses eine Liste externer Trends geteilt, von denen wir vermuteten, dass sie wahrscheinlich großen Einfluss auf das Umfeld haben würden, in dem die Wikimedia-Bewegung agiert. Damals lag unser Fokus auf den Änderungen im Bereich der Suche, dem enormen Anstieg im globalen Bedarf an Inhalten, insbesondere multimedialen Inhalten, und der besorgniserregenden Zunahme von Falschinformationen und Desinformation. Viele aus der Bewegung haben uns auf weitere Trends hingewiesen, die für uns relevant sind, die wir aber nicht in die Liste aufgenommen hatten, darunter die abnehmende Bedeutung des investigativen Journalismus und die Schäden, die GLAM-Institutionen durch die COVID-19-Pandemie erlitten hatten.

In diesem Jahr haben wir begonnen, die Liste zu aktualisieren, und haben Input aus den Teams Global Advocacy, Product, und Trust & Safety eingeholt, um zu verstehen, was in der Welt passiert, das wahrscheinlich Einfluss auf unsere Bewegung haben wird. Wie auch im Vorjahr ist das keine Liste aller Bedrohungen und Chancen, die auf unsere Bewegung zukommen, sondern lediglich eine Perspektive auf eine Auswahl der dringendsten Probleme.

Wir wissen, dass eine Vielfalt an Perspektiven ein klareres Bild der Realität und besser informierte Entscheidungen ermöglicht, daher möchten wir dazu die Gedanken der breiteren Bewegung zu diesen Themen hören. Wir freuen uns über dein Feedback zu den unten genannten Ideen auf der Diskussionsseite.

Suche und Inhalt

Update 2022: Social-Media-Plattformen bringen weiterhin traditionelle Suchmaschinen durcheinander, aber durch KI droht eine deutlich signifikantere Veränderung

  1. Personalisierte Erfahrungen ziehen jüngere Usergruppen zunehmend auf Social-Media-Plattformen (TikTok, Instagram) und weg von traditionellen Suchmaschinen.
    • Social-Media-Plattformen testen neue Suchfunktionen, um das Userinteresse aufrechtzuerhalten. Traditionelle Suchmaschinen testen verschiedene Strategien, um wettbewerbsfähig zu bleiben und weiterhin das SEO-Ranking von Inhalten in externen Links zu Suchergebnissen verringern zu können.
  2. Das explosive Wachstum hochentwickelter KI kann für die Schaffung und den Konsum von Wissen vorteilhaft sein, macht aber unsere Rolle im Wissensökosystem unsicher.
    • In nur zwei Monaten wurde ChatGPT die am schnellsten wachsende Webanwendung für Konsument:innen aller Zeiten. Neue KI-Modelle und darauf aufbauende Werkzeuge können Vorteile für die Schaffung und den Konsum von Wissen mit sich bringen, aber die Natur von KI erschwert Fragen rund um Urheberschaft und den Verlust der Mittlerrolle.
  3. Diese Trends könnten uns beim Voranbringen unserer Mission unterstützen – oder unsere Zukunftsfähigkeit untergraben.
    • Größere Konkurrenz im Suchbereich und der Aufstieg von KI sind Gelegenheiten, freies Wissen (auf neue Arten) noch weiter mit der Welt zu teilen. Die Trends bringen aber auch große unbeantwortete Fragen und Risiken für unsere Organisation, unsere Projekte und unsere Bewegung.

Desinformation

  1. Informationskriege werden intensiver.
    • Informationskriege als politische und geopolitische Waffe von Regierungen und politischen Bewegungen werden intensiver und komplexer sowie subtiler, aber gleichzeitig auch gefährlicher (Desinformationskampagnen gehen zunehmend mit physischen Bedrohungen, Erpressungen, Verhaftungen usw. einher).
  2. Maschinenerzeugte Inhalte verbreiten sich.
    • Die Fähigkeit künstlicher Systeme, qualitativ hochwertige Inhalte zu erzeugen, nimmt zu. Überdies erreichen diese Systeme in den meisten großen Märkten rasch den breiten gesellschaftlichen Mainstream. Die Positionierung von Wikimedia könnte dabei helfen, den Bereich maßgeblich zu formen.
  3. Verschlüsselte Desinformations- und Falschinformationsangriffsvektoren nehmen zu.
    • Durch Sorgen um digitale Privatsphäre und Informationskriege konzentriert sich Desinformation noch weiter in geschlossenen Kanälen, in denen Verschlüsselung die Beobachtung und Vorhersage erschwert, wodurch Desinformation und Polarisierung zunehmen. Als offene Plattform bilden wir einen Gegenentwurf zu diesem schädlichen Trend und können unsere Form/Methode als funktionierenden Lösungsansatz präsentieren.
  4. Wikimedia ist ein legitimes Angriffsziel geworden.
    • Im Jahr 2022 nahmen auch Desinformationsnarrative gegen und gezielte Angriffe auf die Bewegung, einzelne Freiwillige und die Foundation zu, wodurch sich unsere Freiwilligen und das Ansehen der Foundation zunehmenden Risken ausgesetzt sehen.

Regulierung

Wikimedia ist als Organisation internationaler geworden, wodurch mehr Gesetze aus mehr Ländern für uns relevant geworden sind.

Um unsere Projekte und Menschen zu schützen, müssen wir uns an eine immer vielfältiger werdende Anzahl an Gesetzen weltweit halten. In unserem Wachstumsprozess müssen wir darauf vorbereitet sein, gegen schädliches Vorgehen von Regierungen vor Gericht zu klagen und öffentlich gegen schädliche Gesetze in immer mehr Ländern Kampagne zu führen.

  1. Von Webhosting-Anbietern wird mehr als je zuvor erwartet.
    • Regierungen stehen unter zunehmendem politischen Druck, gegen eine unbestimmte Masse von möglichen Bedrohungen online vorzugehen. In diesem Jahr kommen zwei Fälle vor den amerikanischen Supreme Court, in denen das zentrale Internetgesetz CDA 230 in Frage gestellt wird, was etablierte indirekte Schutzmechanismen für Plattformen wie Wikipedia zerstören könnte. Gleichzeitig werden Strafen für das Hosten schädlicher Inhalte verschärft, auch in strafrechtlich relevanter Form wie mit der UK Online Safety Bill.
  2. Gesetzgeber denken nicht an Wikipedia.
    • In der Gesetzgebung wird Wikimedia weiterhin oft mit kommerziellen Plattformen in einen Topf geworfen. Nur wenige Gesetzgeber verstehen das von Freiwilligen getragene Modell der Inhaltsmoderation bei Wikimedia oder wie Gesetze dieses schützen und unterstützen sollten.
  3. Unsere Beziehung mit profitorientierten Tech-Plattformen ist wichtig und kompliziert.
    • Wir brauchen einander. Aber um das Wikimedia-Modell sowie die Projekte und Menschen der Wikimedia-Bewegung von schädlicher Regulierung zu schützen, müssen Gesetzgeber und Meinungsmachende im Gesetzgebungsprozess darüber aufgeklärt werden, wie wir uns von den großen kommerziellen Plattformen unterscheiden. Das gelingt uns mit positivem Messaging gegenüber den am Gesetzgebungsprozess Beteiligten, in dem wir darlegen, wie unser von Freiwilligen getragenes Modell funktioniert und welche positive Rolle unsere Bewegung in der Gesellschaft spielt.